Der Referentenentwurf zur Verschärfung im Sexualstrafrecht vom 31.08. stellt im Abschnitt A („Problem und Ziel“) den Grund für die Verschärfung wie folgt dar:
A. Problem und Ziel
Die ungestörte Entwicklung von Kindern ist ein besonders hohes Gut. Sexualisierte Gewalt kann Kinder für ihr gesamtes Leben traumatisieren. Die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder ist deshalb eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit und zentrale Aufgabe des Staates.
Im Zuge des technischen Wandels hat sich die Art der gegen Kinder gerichteten Straftaten verändert. Durch soziale Netzwerke und die Chatfunktionen von Onlinespielen besteht leichter denn je die Möglichkeit, aus sexuellen Motiven heraus Kontakt zu Minderjährigen herzustellen. Das Internet, insbesondere das Darknet, bietet viel Raum, um anderen kinderpornographische Inhalte zur Verfügung zu stellen oder auf diese Inhalte zuzugreifen. Durch die neuen technischen Möglichkeiten hat sich aber das Gefährdungspotential für Kinder nicht bloß in der virtuellen, sondern auch in der realen Welt erhöht. Denn der Verbreitung und dem Konsum von Kinderpornographie liegt häufig reale sexualisierte Gewalt gegen Kinder zugrunde.
Die Zahlen bekanntgewordener Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Verbreitung, des Besitzes und der Besitzverschaffung von Kinderpornographie sind deutlich gestiegen.
Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die einschlägigen Straftatbestände zu ändern, damit sie ihre Schutzfunktion für Kinder besser entfalten können. Dafür bedarf es unter anderem einer deutlichen Verschärfung der Strafrahmen. Zugleich sind Maßnahmen notwendig, um eine effektivere Strafverfolgung zu erreichen. Die Anstrengungen dürfen sich aber nicht auf das Straf- und Strafprozessrecht beschränken.
Vor diesem Hintergrund verfolgt der Entwurf das Ziel, mit einem ganzen Bündel von Maß-nahmen, die insbesondere auch die Prävention betreffen, den Schutz von Kindern vor se-xualisierter Gewalt zu verbessern.
Sexualisierte Gewalt
Zu dem ausdrücklich auf „Brandmarken“ zielenden und damit im Grund hetzerischen Begriff „sexualisierte Gewalt“ habe ich bereits von ein paar Tagen Stellung bezogen.
In aller Kürze:
Mit dem Begriff will man einer in der Realität nirgends zu erkennenden Bagatellisierung entgegenwirken und aggraviert den für Handlungen im Rahmen von Liebesbeziehungen ohnehin bereits aggravierenden Begriff „sexueller Missbrauch“ noch weiter. Da der neue Begriff gar nicht erst die Wirklichkeit abbilden, sondern im Gegenteil verschleiern soll, ist der Begriff unehrlich.
Das staatlich gewollte „Brandmarken“ knüpft an mittelalterliche Strafvorstellungen und die Behandlung von Tieren an und ist deshalb unmoralisch, insbesondere aber auch eines Staates unwürdig, der die Unantastbarkeit der Würde des Menschen in den ersten Satz seines Grundgesetzes hineingeschrieben hat.
Skandalisierung und Brandmarkung unterlaufen darüber hinaus das staatliche Gewaltmonopol. Brandmarken ist letztlich Brandstiftung, die Bürger zur Selbstjustiz ermuntert.
Traumafolgen
Sexualisierte Gewalt kann Kinder für ihr gesamtes Leben traumatisieren.
Eigentlich ist der Satz erstaunlich, weil ein Trauma als Folge „sexualisierter Gewalt“ hier lediglich als Möglichkeit und nicht als unausweichliche Konsequenz dargestellt wird.
Aus Sicht von Politikern wie NRW Innenminister Herbert Reul, muss der Satz im Grunde eine Verharmlosung darstellen. („Für mich ist sexueller Missbrauch wie Mord. Damit wird das Leben von Kindern beendet – nicht physisch, aber psychisch.“)
Die Einschätzung im Referentenentwurf ist aber immerhin deutlich realistischer als die allgemeine Polemik zum Thema. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2018 sagte Fr. Prof. Dr. Michaela Pfundmair:
Es ist absolut zu verneinen, dass notgedrungen eine psychische Störung zu Tage tritt. (…) Tatsächlich kann Missbrauch in der Kindheit das Risiko für eine Vielzahl psychischer Störungen erhöhen – aber: die Zusammenhänge sind im Allgemeinen schwach bis mäßig ausgeprägt. Das heißt, Missbrauch ist nur ein unspezifischer Risikofaktor. Der Anteil symptomfrei bleibender Betroffener wird auf etwa 40 Prozent geschätzt.
Im Rahmen einer groß angelegten kriminologischen Studie des Bundeskriminalamts wurde festgestellt, dass etwa 48% der Personen, die als „Geschädigte“ registriert worden waren, von keinen oder nur minimalen Schäden berichteten. Schäden korrelierten dabei stark mit Fällen von sexueller Nötigung, Vergewaltigung und Sexualkontakten mit starker emotionaler Abwehr (31.3% % der Fälle). In der Gruppe der“exhibitionistischen und vergleichsweise harmlosen erotischen sexuellen Kontakten mit eher jüngeren Opfern“ (57.1 % der Fälle) traten „ganz selten“ Schäden auf.
In Ihrem Interview (das in keinem Zusammenhang mit der bereits 1983 veröffentlichen BKA-Studie steht) sagte Fr. Prof. Dr. Pfundmair: „Vielleicht aber haben viele der Betroffenen keine „seelische Erschütterung“ erfahren. Dann sollte man das auch nicht weiter aufbauschen.“
So ist es. Eigentlich. Aber diesen nicht-traumatisierten Betroffenen wird nun gesagt, sie seien „Opfer sexualisierter Gewalt“.
Wie soll Ihnen das helfen?
Es wird damit eine völlig unnötige, nachträgliche seelische Erschütterung wissentlich in Kauf genommen, weil man eine Verletzung sexueller Normen politisch unbedingt „brandmarken“ möchte.
Klarsichtiger und menschlicher war da die Schlussfolgerung der BKA-Studie:
Bisher sind Verletzungen der Sexualnormen und sexuelle Gewaltdelikte bei uns immer noch in unzulässiger Weise vermischt. (…)
Es sollte darauf hingewirkt werden, daß im allgemeinen Bewußtsein die drei hauptsächlichen Erscheinungsformen klar voneinander getrennt werden:
a) exhibitionistische Handlungen
b) relativ oberflächliche, gewaltfreie erotische und sexuelle Handlungen
c) sexuelle Gewalthandlungen und Bedrohungen
Differenzierung
In diesem Zusammenhang sollte angestrebt werden, daß durch eine sachliche Aufklärung über die tatsächlichen Erscheinungsformen der Sexualkriminalität und ihre Folgen in einem Bereich (a und b) eine Entdramatisierung stattfindet, während der tatsächliche Gewaltcharakter der anderen Deliktsarten (c) deutlicher ins Bewußtsein gehoben wird.
Der Begriff sexualisierte Gewalt macht also absolut Sinn, wenn damit der tatsächliche Gewaltcharakter von Taten, denen „Gewalthandlungen und Bedrohungen“ zugrunde liegen deutlich gemacht wird. Dann würde man zu recht schreiben:
„Sexualisierte Gewalt kann Kinder für ihr gesamtes Leben traumatisieren.“
Er ist absolut schädlich, wenn damit „oberflächliche, gewaltfreie erotische und sexuelle Handlungen“ als Gewalt diffamiert werden, bei denen es an Gewalthandlungen und Bedrohungen gerade fehlt.
Statt der eigentlich sinnvollen Differenzierung, einer Entdramatisierung und einem „nicht Aufbauschen“ geschieht mit dieser „Brandmarkung“ das glatte Gegenteil – zu Lasten der Betroffenen.
Ein Satz wie
Oberflächliche, gewaltfreie erotische und sexuelle Handlungen können Kindern für ihr gesamtes Leben traumatisieren.“
ist zwar nicht im strengen Sinne falsch, da es durchaus seltene Einzelfälle mit Trauma-Folge geben mag. Die tatsächlich Prävalenz lebenslanger Traumata dürfte aber für diese Fallgruppe minimal sein. Eigentlich. Denn für die Betroffenen ist die Dramatisierung Gift. Sie kann nachträglich gerade jene seelische Erschütterung verursachen, die im Zusammenhang mit der Tat selbst glücklicherweise ausblieb.
Cybergrooming
Im Zuge des technischen Wandels hat sich die Art der gegen Kinder gerichteten Straftaten verändert. Durch soziale Netzwerke und die Chatfunktionen von Onlinespielen besteht leichter denn je die Möglichkeit, aus sexuellen Motiven heraus Kontakt zu Minderjährigen herzustellen.
Dies ist richtig, die Möglichkeiten werden aber vor allem von einer Tätergruppe genutzt, die es am allerwenigsten verdient, gebrandmarkt zu werden: Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden.
Der Anteil minderjähriger Täter steigt seit Jahren stark überproportional. 2019 waren 11.44 % der Verdächtigen von Cybergrooming selbst Kinder, 28.54 % waren Jugendliche und 13.22 % Heranwachsende. Weniger als die Hälfte der Täter war erwachsen.
Der Zuwachs der Taten bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden lag im Vergleich zum Vorjahr bei 39.74%. Bei Erwachsenen gab es nur einen leichten, statistisch nicht aussagekräftigen Zuwachs um 3.96 %.
Kinderpornographie und reale Delikte gegen Kinder
Das Internet, insbesondere das Darknet, bietet viel Raum, um anderen kinderpornographische Inhalte zur Verfügung zu stellen oder auf diese Inhalte zuzugreifen. Durch die neuen technischen Möglichkeiten hat sich aber das Gefährdungspotential für Kinder nicht bloß in der virtuellen, sondern auch in der realen Welt erhöht. Denn der Verbreitung und dem Konsum von Kinderpornographie liegt häufig reale sexualisierte Gewalt gegen Kinder zugrunde.
Hier wird ein Zusammenhang zwischen dem Konsum von Kinderpornographie und Taten gegen Kinder behauptet, den es so nicht gibt.
Mich erinnert das an die lange propagierte Rede von Kinderpornographie als einem Milliardenmarkt für den Kinder ausgebeutet werden, den es aber nie gegeben hat.
Im Jahr 2000 gab es noch Schlagzeilen wie „10 Milliarden Mark Umsatz mit Online-Kinderpornos“ oder 2013 „Cyberfirma wusch Kinderporno-Milliarden„. Die Behauptung der Existenz einer Kinderpornoindustrie, die erst von „Kinderschützern“, dann von Politikern und Medien viele Jahre lang unwidersprochen verbreitet und einfach unreflektiert geglaubt wurde, brach zusammen, als man Anschläge auf den Datenschutz mit dem Kampf gegen Kinderpornos begründen wollte (Stichwort Zugangserschwerungsgesetz und Voratsdatenspeicherung). Menschen, denen der Schutz ihrer Daten wichtig ist, prüften die Fakten und widerlegten die Lüge.
Nun also stattdessen „der Verbreitung und dem Konsum von Kinderpornographie liegt häufig reale sexualisierte Gewalt gegen Kinder zugrunde.“
Auch hier ist „häufig“ durchaus erstaunlich, wird doch sonst fast stets davon gesprochen, dass „jedem Bild sexuelle Gewalt gegen ein Kind“ zugrunde liegt.
Dass nun von „häufig“ gesprochen wird, dürfte am Segment der fiktiven Kinderpornographie liegen, also Texten, Zeichnungen, Computeranimationen, die ganz ohne real existierende Kinder hergestellt wurden und bei denen folglich auch kein Kind missbraucht, ausgenutzt oder sonst wie geschädigt wurde. Diese Materialien müssten daher gänzlich legalisiert werden, was aber auch in der aktuellen Reform unterbleibt.
Auch wenn man fiktive Kinderpornographie ganz ausklammert, bleibt allerdings immer noch ein beträchtlicher Anteil an Material übrig, dem keine sexualisierte Gewalt gegen Kinder zugrunde liegt, z.B. Posing-Aufnahmen und Aufnahmen, die von Kindern selbst erstellt und verbreitet wurden.
Die Vorstellung von der Unschuld der Kinder ist nämlich eine Fehlvorstellung. Die Herstellung von Kinderpornographie mit Verbreitungsabsicht (!) kommt lt. den Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik bei 8 bis 9-jährigen 3.16-mal, bei den 10 bis 11-jährigen 5.14-mal, bei 12 bis 13-jährigen 14.53-mal (!) und bei 14 bis 15-jährigen 3.52-mal so häufig vor wie in der Gesamtbevölkerung.
Unrechtsgehalt von Kinderpornographie
Ich halte Kinderpornographie durchaus für problematisch. Selbst wenn Aufnahmen einvernehmlich entstanden sind, möchte normalerweise niemand, dass seine intimen Sexbilder von Fremden angesehen werden. Die Verbreitung und Betrachtung pornographischer Abbildungen von Kindern verletzt typischerweise deren Persönlichkeitsrechte. Dennoch bleibt der Konsum von Kinderpornographie die Ersatzhandlung für exponentiell schlimmere Taten.
Da NRW-Innenminister Reul Kindesmissbrauch gerne mit psychischem Mord vergleicht: Hat jemand, der sich das Bild eines Mordes (oder gar eines fiktiven Mordes) anschaut, die gleiche oder eine vergleichbare Schuld auf sich geladen wie der Mörder? Gehört also jeder, der sich eine Dokumentation über John F. Kennedy oder über die Mordtaten der Nationalsozialisten, jeder, der einen Krimi oder einen Actionfilm anschaut, in den Knast?
Da man diese Beispiele noch relativ leicht als abwegig oder irrelevant abtun kann, hier eines, bei dem das vielleicht etwas schwieriger ist:
Wie groß ist der Anteil an der Ermordung, den jemand hat, der sich als Schaulustiger ein Enthauptungsvideo des Islamischen Staates anschaut? Man darf davon ausgehen, dass das Enthauptungsvideo aus Propagandazwecken erstellt wurde und dass hohe Zuschauerzahlen weitere Enthauptungen nach sich ziehen könnten.
Ich käme nicht auf die Idee mir ein solches Video anzusehen und würde es auch verwerflich finden, wenn sich jemand absichtlich ein solches Video anschaut. Wirklich strafwürdig finde ich allerdings erst die Verbreitung und natürlich auch die Herstellung.
Im Prinzip kann man die Strafwürdigkeit auch schon beim Besitz eines solchen Videos ansetzen. Allerdings scheint es mir eher abwegig zu vermuten, dass der Besitzer eines solchen Videos automatisch zum Nachahmer der Tat wird. Es würde mir auch nicht einfallen, für den Konsumenten eines Enthauptungsvideos vergleichbar hohe Strafen wie für den Mörder zu fordern.
In Deutschland ist der Besitz und Konsum eines Enthauptungsvideos straffrei. Die Verbreitung wird nach § 131 – Gewaltdarstellungen mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet.
Das Strafmaß für den Besitz eines kinderpornographischen Bildes oder Videos, dass ein tatsächliches Kind (oder jemanden, der wie ein tatsächliches Kind wirkt) zeigt, soll künftig bei einem Jahr bis zu fünf Jahren liegen. Der Strafrahmen für die Verbreitung soll künftig bei einem Jahr bis zu zehn Jahren liegen.
Da es Fälle mit nur einer kinderpornographischen Schrift in der Praxis nicht gibt und bei der Berichterstattung über Fälle in der Regel von hunderten oder hunderttausenden Bildern und Videos die Rede ist, werden in den Urteilen Gesamtstrafen gebildet.
Der Besitz jeder einzelnen Datei ist eine eigene Straftat. Mit dem Urteil werden also mehrere Straftaten eines Täters gleichzeitig abgeurteilt. Anders als in den USA werden in Deutschland die Strafen nicht einfach addiert. Die Bildung einer Gesamtstrafe erfolgt durch angemessene Erhöhung der höchsten Einzelstrafe. Welche Erhöhung angemessen ist, muss jeweils aufgrund der Umstände des Einzelfalles ermittelt werden, wobei etwa die Persönlichkeit des Täters und der Zusammenhang der einzelnen Taten eine Rolle spielen. Die gesetzliche Obergrenze ist dabei lediglich, dass eine Gesamtstrafe 15 Jahre Freiheitsentzug nicht übersteigen darf.
In der Praxis wird zur Berechnung der Gesamtstrafe häufig eine Faustformel angewandt: Die höchsten Einzelstrafe wird um die Hälfte der Summe der weiteren Einzelstrafen erhöht.
Über die Praxis der Bildung von Gesamtstrafen schreibt ein Anwaltsportal:
Wenn es nur um zwei Straftaten geht, ist die Berechnung meistens ziemlich leicht: Man zählt zur höheren Strafe die Hälfte der niedrigeren hinzu und kommt so auf die Gesamtstrafe. 80 plus 60 Tagessätze ergeben 110, drei Jahre und zwei Jahre werden zu vier Jahren Gefängnis, acht Monate und vier Monate zu zehn. Geht es um mehr als zwei Taten, werden die weiteren Strafen mit absteigender Tendenz berücksichtigt. (…) Eine feste Formel gibt es übrigens nicht und ein Richter darf in ein Urteil auch nichts davon hineinschreiben, dass er die weiteren Strafen in Bruchteilen hat einfließen lassen. Denn eine formelhafte Berechnung würde laut Rechtsprechung gegen das Gesetz verstoßen. Aber selbstverständlich werden solche Überlegungen – zumindest außerhalb des Urteilstextes – angestellt.
Die tatsächliche in der Praxis zu erwartende Höchststrafe für Verbreitung bei Tatmehrheit (also bei einer „Sammlung“, die ja eigentlich den Regelfall darstellt) dürfte bei der theoretisch möglichen Höchstgrenze von 15 Jahren liegen. Die „reale“ Höchststrafe für Besitz vermutlich bei 7 1/2 Jahren.
Ist ein kinderpornographisches Videos wirklich so viel schlimmer als ein Enthauptungsvideo? (Besitz straffrei; Verbreitung bis 1 Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe)
Ich meine nein.
Funktion von Kinderpornographie für den Konsumenten
Durch die Strafbarkeit von Kinderpornographie werden Menschen bestraft, die nur stark reduzierte Möglichkeiten haben, ihre sexuellen Wünsche auszuleben.
Konsumenten kinderpornographischer Inhalte sind in der Regel gerade keine Missbrauchstäter. Sie nutzen eine Ersatzdroge. Während an Drogenabhängige Ersatzdrogen wie Methadon kostenfrei abgegeben werden, landen Menschen, die keine Taten gegen Kinder begehen wollen, sich aber stattdessen für die falsche Ersatzdroge entscheiden, für viele Jahre im Gefängnis.
Auch ein nennenswertes Nachahmungsrisiko besteht nicht. Eine Schweizer Studie zur Delinquenz von Konsumenten von Kinderpornografie kam zu dem Ergebnis, dass der Konsum von Kinderpornografie alleine keinen Risikofaktor für spätere physische Sexualdelikte darstellt.
Natürlich ist es besser, wenn stattdessen Ersatzdrogen ohne negative Wirkungen verwendet werden, z.B. fiktive Kinderpornographie (Texte, Zeichnungen, Computeranimationen) oder kindlich aussehende Sexpuppen oder auch Alltagsfotos von Kindern (z.B. Modebilder, Portraits von Schauspielern etc.).
Wer das (noch) nicht schafft, dem sollte man in erster Linie helfen, es die Zukunft hinzubekommen. Der Grundsatz „Helfen statt strafen“ hat sich schließlich auch auf anderen Gebieten als nützlich erwiesen.
Keine Korrelation zwischen Kinderpornographie und sexuellem Missbrauch von Kindern
Dass Kinderpornographie und reale Missbrauchstaten gegen Kinder nicht miteinander korrelieren zeigt auch die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS).
Hier die offiziellen Fallzahlen der letzten 25 Jahre:

Wenn Kinderpornographie zu Kindesmissbrauch führen würde, müssten sich die Fallzahlen bei Kindesmissbrauch in den letzten 25 Jahren verdreißigfacht haben. Sie müssten dann über 470.000 liegen. Das tut sie aber nicht. Langfristig gesehen sind sie sogar um 15 Prozent zurückgegangen.
Eine positive Korrelation zwischen den beiden Tatbeständen im Sinne von mehr Kinderpornographie = mehr Kindesmissbrauch ist anhand der Fallzahlen überhaupt nicht erkennbar. Es ist deshalb aberwitzig sich von höheren Strafen für den Besitz oder die Verbreitung von Kinderpornographie einen Rückgang von Sexualdelikten gegen Kinder zu versprechen.
Handlungsbedarf wegen deutlich ansteigenden Fallzahlen
Die Zahlen bekanntgewordener Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Verbreitung, des Besitzes und der Besitzverschaffung von Kinderpornographie sind deutlich gestiegen.
Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die einschlägigen Straftatbestände zu ändern, damit sie ihre Schutzfunktion für Kinder besser entfalten können. Dafür bedarf es unter anderem einer deutlichen Verschärfung der Strafrahmen. Zugleich sind Maßnahmen notwendig, um eine effektivere Strafverfolgung zu erreichen. Die Anstrengungen dürfen sich aber nicht auf das Straf- und Strafprozessrecht beschränken.
Vor diesem Hintergrund verfolgt der Entwurf das Ziel, mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen, die insbesondere auch die Prävention betreffen, den Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt zu verbessern.
Die Statistik zu den Fallzahlen der PKS für den Zeitraum 1995 bis 2019 zeigt, dass es tatsächlich einen erheblichen Anstieg bei Verbreitung und Besitz von Kinderpornographie gibt. Für den sexuellen Missbrauch von Kindern gilt dies dagegen nicht. Langfristig betrachtet sind die Fallzahlen hier sogar rückläufig.
Die Fallzahlen entsprechen aber nicht den Taten. Gerade in Hinblick auf Kindesmissbrauch gibt es gute Gründe anzunehmen, dass die „Dunkelziffer“ aufgrund einer viel höheren Anzeigebereitschaft und gesteigerter gesellschaftlicher Sensibilität in den letzten drei Jahrzehnten deutlich abgenommen hat. Der Rückgang der Taten ist also mutmaßlich noch deutlich größer als der Rückgang der Fallzahlen im Hellfeld suggeriert.
Einen Handlungsbedarf im Sinne von „die Fallzahlen steigen, wir müssen die Gesetze verschärfen“ gibt es im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern also gar nicht.
Die fehlende Korrelation der Kinderpornographiedelikte und der Fälle sexuellen Missbrauchs zeigt, dass die Strafbarkeit des Besitzes von Kinderpornographie nichts zum Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen beiträgt. Man kann deshalb aus einem Anstieg der Fallzahlen in diesem Bereich keinen Handlungsbedarf zum Schutz der Kinder vor sexuellen Übergriffen ableiten.
„Markt“ für kinderpornographische Inhalte
Einen „Markt“ kinderpornographischer Inhalte, der aufgrund der „Nachfrage“ zu Kindesmissbrauch führt, gibt es genauso wenig wie es den lange postulierten Milliardenmarkt einer Kinderpornoindustrie je gegeben hat.
Tatsächlich dürfte es nur es extrem wenige Fälle geben, bei denen Kinder missbraucht werden, um Bildaufnahmen davon zu machen und sie zu veröffentlichen. Umgekehrt gibt es aber sicherlich Fälle, bei denen Kinder missbraucht werden und zusätzlich Bildaufnahmen gemacht werden. Die Herstellung kann dabei mit oder ohne Verbreitungsabsicht geschehen.
Gegen eine Verbreitungsabsicht spricht, dass die Bilder fast zwangsläufig irgendwann auch bei Ermittlungsbehörden landen dürften. Die Kinder oder der Tatort sind dann häufig identifizierbar. Jede Veröffentlichung erhöht für den Täter das Entdeckungsrisiko beträchtlich. Da es keinen relevanten Bezahlmarkt für kinderpornographische Inhalte gibt, scheidet auch ein finanzielles Motiv in aller Regel aus. Warum kommt es dann trotzdem zur Veröffentlichung von solchem Material?
In der Regel dürfte das Motiv Geltungssucht sein. Wer solches Material verbreitet, fühlt sich mutmaßlich bestätigt, wenn jemand seine Missbrauchsdateien herunterlädt. Wenn eine Datei dann 1.000 mal heruntergeladen wird, wie groß ist dann der Anteil einer der 1.000 Personen am erfolgten Missbrauch oder am zukünftigen Missbrauch?
Er dürfte nahe null liegen. Und das nicht, weil der Anteil an der Befriedigung der Geltungssucht bei einem Tausendstel liegt, sondern weil nur das Verbreiten, nicht aber der Missbrauch selbst Folge der vom „Markt“ befriedigten Geltungssucht ist.
Der Besitzer hat also typischerweise keinen Anteil am Missbrauch selbst. Er hat aber Anteil an der Verbreitung, die ein Kind ebenfalls bzw. zusätzlich belasten kann. Diese Belastung ist der wesentliche Grund, weshalb ich Kinderpornographie (mit realen Kindern) für verwerflich halte und der Meinung bin, dass sie zu Recht verboten ist.
Möglicherweise reduziert die Verfügbarkeit von kinderpornographischen Inhalten die Anzahl der Übergriffe allerdings sogar. Entsprechende Effekte werden in Hinblick auf die Legalisierung von Erwachsenenpornographie und den parallel beobachteten Rückgang von Vergewaltigungsdelikten vermutet. Es erscheint nicht plausibel, im Fall von Kindern eine andere Wirkweise anzunehmen. Der Zugang zu Pornographie kann Konsumenten eine weniger schädliche Alternative zu übergriffigem Verhalten bieten.
Dies spricht aufgrund des gebotenen Schutzes der Persönlichkeitsrechte von Kindern zwar nicht für eine Legalisierung von kinderpornographischem Material insgesamt, wohl aber für die Legalisierung von Herstellung, Verbreitung, Import etc. von fiktiven kinderpornographischen Materialien (Texten Zeichnungen, Computeranimationen).
Was ist das angemessene Strafmaß?
Wenn man über das angemessene Strafmaß für den Besitz realer Kinderpornographie nachdenkt und den Unrechtsgehalt an der Verletzung der Persönlichkeitsrechte des dargestellten Kindes festmacht, hilft ein Blick auf § 201a – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen:
§ 201a Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt,
2. eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt,
3. eine durch eine Tat nach den Nummern 1 oder 2 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht oder
4. eine befugt hergestellte Bildaufnahme der in den Nummern 1 oder 2 bezeichneten Art wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich macht und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt.
(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht.
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand hat,
1. herstellt oder anbietet, um sie einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen, oder
2. sich oder einer dritten Person gegen Entgelt verschafft.
(4) Absatz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 3 oder Nummer 4, Absatz 2 und 3 gelten nicht für Handlungen, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen.
(5) Die Bildträger sowie Bildaufnahmegeräte oder andere technische Mittel, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden.
Strafbar ist hier stets nur das Herstellen, Übertragen, einer dritten Person zugänglich machen, nicht aber der Besitz.
Hiervon ausgenommen ist lediglich, eine Aufnahme, die die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand hat, sich oder einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen. Diese Tat wird mit einer Strafe von zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht.
Auf Kinderpornographie übertragen wäre aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein etwas höherer Strafrahmen gerechtfertigt, da das Intimitätsniveau sexueller Handlungen über dem von bloßer Nacktheit liegt.
Als Lösung bietet es sich an, für den Fall der Besitzverschaffung gegen Entgelt beim bisherigen Strafrahmen von bis zu 3 Jahren zu bleiben. Eine sinnvolle Änderung könnte also sein:
Aktuell:
§ 184b – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften
(3) Wer es unternimmt, sich den Besitz an einer kinderpornographischen Schrift, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zu verschaffen, oder wer eine solche Schrift besitzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Neu:
§ 184b – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften
(3) Wer es unternimmt, sich oder einem Dritten den Besitz an einer kinderpornographischen Schrift, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, gegen Entgelt zu verschaffen,
oder wer eine solche Schrift besitzt,wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
In allen anderen Fällen des Besitzes scheint es ausreichend, eine Ordnungswidrigkeit zu definieren, die den Einzug des betroffenen Materials ermöglicht und darüber hinaus über die Androhung einer Geldstrafe eine gewisse Abschreckungswirkung erzielt.
Eine entsprechende Reform hätte natürlich auch zur Folge, dass die Anzahl der Fälle in der Kriminalstatistik deutlich sinken würde. Vielleicht ebnet das dann ja den Weg für die nächste Reform, in der man dann lesen darf:
Die Zahlen bekanntgewordener Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Verbreitung, des Besitzes und der Besitzverschaffung von Kinderpornographie sind deutlich gesunken.
Vor diesem Hintergrund bedarf es einer deutlichen Absenkung der Strafrahmen.
Wer das absurd findet, dem sei gesagt:
Natürlich ist es absurd.
Es ist ganz genauso absurd wie es absurd ist, einen Anstieg von Fallzahlen als Begründung für eine Anhebung des Strafrahmens anzuführen, nachdem man zuvor 30 Jahre lang in schöner Regelmäßigkeit „Schutzlücken“ geschlossen hat und mit neuen und erweiterten Tatbeständen alles dafür getan hat, die Fallzahlen immer weiter nach oben zu treiben.