Zu viel Einvernehmlichkeit. Zu wenig Gewalt.

Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre hatten überzeugte „Kinder-vor-Missbrauch-Schützer“ ein argumentatives Problem:

Es gab zu viele Fälle von einvernehmlichen, gewaltfreien sexuellen Beziehungen zwischen Kindern bzw. Jugendlichen und Erwachsenen, bei denen sich noch dazu keine Schädigung des Kindes nachweisen ließ. Diese Fälle wurden vielfach als opferlose Verbrechen angesehen.

Eine breit angelegte kriminologische Studie des Bundeskriminalamts aus dem Jahr 1983 führt im Abschnitt „Straftaten ohne Opfer – primäre und sekundäre Viktimisation“ aus:

Bei der Betrachtung der Auswirkungen von Sexualstraftaten auf das deklarierte Opfer fällt auf, daß viele angezeigte Sexualkontakte gar keinen Schaden beim jeweiligen deklarierten Opfer anrichten. Daraus folgt, daß die unkritisch gebrauchten Begriffe „Opfer“ und „Geschädigte“ für einen großen Teil der Menschen, die als Sexualopfer registriert werden, unangemessen ist. Die Worte „Opfer“ und „Geschädigte“ suggerieren wie selbstverständlich, daß die Personen geschädigt sind. Dies traf aber für viele der hier befragten Personen, die als Opfer bekannt wurden, gar nicht zu. Einige von ihnen waren erst sekundär Opfer geworden, weil sie die negativen Auswirkungen von Vorurteilen und die Anwendung des Instruments des Offizialdelikts zu spüren bekamen. So ist es auch nicht verwunderlich, das sich nur ein geringer Teil der zahlenmäßig großen Gruppe der kindlichen Sexualopfer selbst für eine Anzeige entschied. Dementsprechend wurden auch die meisten Anzeigen von den Eltern aufgegeben. So geschieht es, daß Kinder, die sich nicht geschädigt fühlen, trotzdem als „Geschädigte“ behandelt werden.

Sexualität, Gewalt und psychische Folgen
Forschungsreihe des BKA, Band 15

Die Studie konstatiert: „Bisher sind Verletzungen der Sexualnormen und sexuelle Gewaltdelikte bei uns aber immer noch in unzulässiger Weise vermischt.“

Zu den aus Sicht der Forscher notwendigen Maßnahmen gehörte auch die „Initiierung einer streng rational gestalteten Diskussion über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Sexualstraftaten), auch insbesondere im Hinblick auf die fällige Strafrechtsreform.“

Bei einem opferlosen Verbrechen fehlt es an der für eine Verfolgung eigentlich notwendigen Strafwürdigkeit. In letzter Konsequenz „drohte“ damit die Legalisierung einvernehmlicher sexueller Kontakte.

Die meisten Probleme sind lösbar: was nicht passt, wird passend gemacht. Gewalt und Einvernehmlichkeit wurden also einfach neu definiert.

Betrachtung bei klassischem Verständnis von Gewalt

Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gewalt in dem Bericht „Gewalt und Gesundheit“ (2002) wie folgt:

Gewalt ist der tatsächliche oder angedrohte absichtliche Gebrauch von physischer oder psychologischer Kraft oder Macht, die gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft gerichtet ist und die tatsächlich oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.

Diese Definition von Gewalt, die auch dem allgemeinen sprachlichen Verständnis entspricht, trifft nicht auf Fälle zu, bei denen ein Kind mit einer sexuellen Handlung einverstanden war. Die BKA-Studie, die vom klassischen Gewaltbegriff ausging, führt aus:

Insgesamt erklärten 51,8% der Sexualopfer, daß sie sich in irgendeiner Weise in Zusammenhang mit dem angezeigten Sexualkontakt, also primär oder sekundär, geschädigt fühlen oder fühlten. Die empfundene Schädigung bei den geschädigten Sexualopfern dauerte im Durchschnitt 4 Jahre und 8 Monate an. Neben diesen 51,8% geschädigten Sexualopfern – davon zwei Drittel mit erheblicheren psychischen Folgen – gibt es eine große Gruppe von 48,2% der Opfer, von denen keine Schädigung bekannt wurde. (…)

Bezogen auf die angezeigten Sexualkontakte stellte sich heraus, daß von den Sexualopfern als hauptsächliche Ursache für ihre Schäden zur Hälfte die sexuelle Handlung selbst, zu einem Drittel das Verhalten des Beschuldigten und zu je etwa einem Zehntel das Verhalten von Verwandten/Bekannten sowie der Polizei gesehen wurde.

Sexualität, Gewalt und psychische Folgen
Forschungsreihe des BKA, Band 15

Aus Sicht der zum Opfer erklärten Betroffenen wurden 48.2 % also nicht geschädigt. Von den Geschädigten machte nochmal die Hälfte die Hauptursache in der Umweltreaktion aus. Der Sexualkontakt selber war also nur bei ca. 25 bis 30% der Betroffenen für Schäden verantwortlich.

Gleichgeschlechtliche Kontakte spielten statistisch und kriminologisch keine wesentliche Rolle bei der Untersuchung. Zum einen machten sie nur 10-15% der Fälle aus und zum anderen waren die beschriebenen sexuellen Handlungen „harmloser“, fast ausschließlich ohne Gewaltanwendung durch den Beschuldigten, und es fühlte sich deshalb auch keines der männlichen Opfer geschädigt. In diesen Fällen konnte auch kein Schaden mit Hilfe der Testverfahren gemessen werden. (…)

Bei einer statistischen Clusteranalyse, die alle wesentlichen Variablen dieser Untersuchung einbezog, stellte sich heraus, daß die angezeigten Sexualkontakte in drei Gruppen zu unterteilen sind:

1. Gruppe mit 57,1%
Diese zahlenmäßig größte Gruppe enthält die exhibitionistischen und vergleichsweise harmlosen erotischen sexuellen Kontakte mit eher jüngeren Opfern. Darunter sind alle männlichen Opfer. Hier traten ganz selten Schäden auf.

2. Gruppe mit 11,6%
Sie enthält intensivere Sexualkontakte mit mehr bekannten und verwandten Beschuldigten, bei eher sozial gestörten Elternhäusern der Opfer. Ein Teil der (nur weiblichen) Opfer dieses Clusters fühlte sich gar nicht geschädigt, ein anderer Teil lag im Durchschnittsbereich der gesamten Untersuchung.

3. Gruppe mit 31,3%
In ihr sind sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und Sexualkontakte mit starker emotionaler Abwehr durch das Opfer enthalten. Die (ausschließlich weiblichen) Opfer waren älter, die Beschuldigten jünger als der Durchschnitt, die Anzeige erfolgte rasch. In diesem Cluster berichteten die Opfer die größten Schäden.

Sexualität, Gewalt und psychische Folgen
Forschungsreihe des BKA, Band 15

Die Schäden (wie wir uns erinnern, bei ca. 30% der Betroffenen vorhanden) betreffen also gerade Opfer von sexueller Nötigung und Vergewaltigung und fehlender Einwilligung („starker emotionaler Abwehr“), die 31.3% der untersuchten Fälle ausmachen.

Willigt ein Kind in eine sexuelle Handlung ein und findet keine Gewaltanwendung (im klassischen Sinne) statt, gibt es nach Einschätzung der Forscher des Bundeskriminalamts in der Regel keine Schäden, bzw. diese treten „ganz selten“ auf. Die „ganz seltenen“ Schäden dürften meiner Einschätzung nach dann vor allem auf Sekundäreffekten durch Reaktionen Dritter (Eltern, Polizei, Justiz etc.) zurückzuführen sein, statt auf den eigentlichen Sexualkontakt.

Gewalt im klassischen Sinne korreliert mit Schäden. Die Abwesenheit von Gewalt im klassischen Sinne korreliert mit der Abwesenheit von Schäden.

Neudefinition von Gewalt

Jeder einigermaßen moralisch denkende Mensch ist gegen Gewalt. Gewalt aktiviert dazu, dem Opfer beizustehen und dem Täter entgegenzutreten. Wer gegen Gewalt ist, sich für Opfer von Gewalt engagiert und sich gegen Gewalttäter wendet, kann sich also der Zustimmung der überwältigenden Mehrheit sicher sein.

Wenn man für oder gegen etwas aktivieren will, funktioniert das am besten über einen emotionalen Zugang. Wer das Herz berührt, braucht keine Argumente. Gewalt ist für Aktivierung, Skandalisierung und Dämonisierung also perfekt geeignet. Wenn es in 57.1 % der Fälle keine Gewalt gibt, muss daher aus Propagandagründen die Gewaltdefinition geändert werden.

Die Gewaltdefinition von „Kinder-vor-Missbrauch-Schützern“ rückt das (unterstellte) Abhängigkeitsverhältnis in den Vordergrund.

„Kinder befinden sich – sowohl vor als auch während der Pubertät – auf einer anderen geistigen und körperlichen Entwicklungsstufe als Erwachsene. Erwachsene sind aufgrund dessen Kindern immer überlegen. Diese Position erlaubt es ihnen – und verpflichtet sie auch – Kinder zu beschützen, zu versorgen, ihre Entwicklung zu fördern und sie im Einklang mit den Werten der Gesellschaft zu erziehen. Gleichwohl besteht auch die Gefahr, diese überlegene Position für eigenen Interessen zu missbrauchen. Dann steht nicht mehr die Frage „Was braucht das Kind?“, sondern „Was will ich?“ im Vordergrund. In diesem Zusammenhang spricht man auch von „struktureller Gewalt“. Gemeint ist Gewalt im Sinne von Stärke oder Macht, die in der Beziehungsstruktur zwischen zwei Menschen liegt und dem Mächtigeren zur Durchsetzung der eignen Interessen dient. Bei sexuellen Handlungen an Kindern wird auf diese Weise immer psychischer Zwang oder psychische Gewalt ausgeübt.“

Aus „Herausforderung Pädophile
von Claudia Schwarze und Gernot Hahn

Dieser Gewaltbegriff hinkt in mehrfacher Hinsicht. Im Grunde wird hier das Potential zur Gewalt („Gewalt im Sinne von Stärke oder Macht“) zu Gewalt uminterpretiert. Das ist aber unsinnig, denn Stärke oder Macht sind etwas anderes als Gewalt.

Es macht einen Unterschied, ob ich jemandem begegne, der physisch in der Lage wäre, mich zu verprügeln, oder ob diese Person mich tatsächlich verprügelt. Im zweiten Fall hat er Gewalt ausgeübt. Im ersten nicht.

Wenn man der Meinung ist, dass schon das Potential jemanden zu verprügeln problematisch ist, müsste man schleunigst Fitnesscenter und Kampfsportarten (Judo, Karate, Ringen, Boxen, Krav Maga, …) verbieten.

Das reicht aber noch nicht. Auch Universitäten erzeugen durch Wissensvermittlung ein Machtgefälle, das missbraucht werden kann. Auch Eigentum erzeugt Ungleichheit und ein Machtgefälle. Also abschaffen. Und da drei Viertel der Straftaten von Männern begangen werden, wäre es angebracht, über die Zwangsverschreibung von Testosteronblockern an die Hälfte der Bevölkerung nachdenken.

Wie man sieht, wird die Sache schnell ziemlich lächerlich und würde konsequent weitergedacht nicht zu einem Schutz, sondern zu Bevormundung und Unterdrückung führen.

Man kann stark und mächtig sein, ohne Gewalt auszuüben. Und selbstverständlich können auch schwache Menschen gewalttätig werden. Denn die Disposition zur Gewalt ist nicht Stärke oder Macht, sondern Aggressivität als innere Bereitschaft, aggressives Verhalten auszuführen.

Das hier primär relevante Aggressionsziel ist das Durchsetzen eigener Wünsche und Interessen, die mit Wünschen oder Rechten Anderer im Konflikt stehen. Das ist aber keine typische pädophile Strategie. Sie ist sogar extrem untypisch. Es geht dem Pädophilen nicht darum, seine Wünsche auf Kosten eines anderen (des Kindes) durchzusetzen, sondern darum eine Übereinstimmung zwischen seinen Wünschen und den Wünschen des Kindes zu suchen bzw. herzustellen. Gelingt dies, gibt es keinen Konflikt mit den Wünschen oder Rechten eines anderen. Gelingt es nicht, kommt es typischerweise auch nicht zu sexuellen Handlungen.

Ein Pädophiler sucht keine Schwäche und will auch keine Macht ausüben. Er sucht Schönheit, Nähe, Gemeinschaft und einen Partner auf Augenhöhe. Wenn der potentielle Partner, auf den er programmiert ist, kleiner ist, bückt er sich oder kniet sich hin, um auf Augenhöhe zu kommen. Deshalb kann sich ein Pädo meist sehr gut auf Kinder einlassen – nicht weil er besonders manipulativ ist, sondern weil er besonders einfühlsam ist. Pädophile wünschen sich vor allem sozialen Nähe und, soweit es um das heikle Thema Sexualität geht, legen sie allergrößten Wert auf Einvernehmlichkeit mit demjenigen, in den sie sich verliebt haben.

Jemanden, der in einen anderen Menschen verliebt ist, wird man nicht einmal mit viel Druck dazu bewegen können, dem Angebeteten willentlich zu schaden. Das Element der Aggression fehlt also. Das „schlimmste“, was Pädophile typischerweise in Ihrem Repertoire haben, ist „Grooming“, also Strategien und Handlungen, mit denen man versucht, einen anderen Menschen gewaltlos so zu „manipulieren“, dass man ihn für einvernehmliche sexuelle Handlungen gewinnt. Grooming ist allerdings keine besonders perfide Strategie, sondern das normale menschliche Verhaltensprogramm eines verliebten, um einen möglichen Partner werbenden Menschen.

Fehlverwendung des Begriffs „strukturelle Gewalt“

Von „Kinder-vor-Missbrauch-Schützern“ wird das (unterstellte) Machtgefälle stark problematisiert und als strukturelle Gewalt dargestellt.

In diesem Zusammenhang spricht man auch von „struktureller Gewalt“. Gemeint ist Gewalt im Sinne von Stärke oder Macht, die in der Beziehungsstruktur zwischen zwei Menschen liegt und dem Mächtigeren zur Durchsetzung der eignen Interessen dient.

Aus „Herausforderung Pädophile
von Claudia Schwarze und Gernot Hahn

Das verschiebt (unter Vernachlässigung tatsächlicher Handlungen und des konstituierenden Elements der Aggression) nicht nur die Definition von Gewalt in unzulässiger Weise. Der Begriff „Strukturelle Gewalt“ meint originär auch etwas ganz anderes:

Strukturelle Gewalt bezeichnet die Vorstellung, dass Gewaltförmigkeit auch staatlichen bzw. gesellschaftlichen Strukturen inhärent sei – in Ergänzung zum klassischen Gewaltbegriff, der einen unmittelbaren personalen Akteur annimmt. In besonderer Weise formulierte der norwegische Friedensforscher Johan Galtung ab 1971 eine solche Theorie. Beispiele für strukturelle Gewalt im Sinne Galtungs sind Altersdiskriminierung, Klassismus, Elitarismus, Ethnozentrismus, Nationalismus, Speziesismus, Rassismus und Sexismus.

Johan Galtung ergänzte den traditionellen Begriff der Gewalt, der vorsätzlich destruktives Handeln eines Täters oder einer Tätergruppe bezeichnet, um die strukturelle Dimension: „Strukturelle Gewalt ist die vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist.“

Wikipedia-Artikel „Strukturelle Gewalt

Hierzu ein praktisches Beispiel eines realen Falls, über den ich bereits berichtet habe:

Als sich der 13jährige Jörn in seinen Onkel Daniel verliebte und eine Beziehung mit ihm initiierte, die nach seinem 14. Geburtstag auch eine sexuelle Komponente bekam, war das keine strukturelle Gewalt, denn ohne Beeinträchtigung der Bedürfnisbefriedigung gibt es keine strukturelle Gewalt. Man darf ziemlich sicher davon ausgehen, dass Jörns und Daniels Bedürfnisse durch die Beziehung befriedigt wurden.

Die Notwendigkeit der Liebenden, die Beziehung aufgrund der Gesetzeslage geheim zu halten, war dagegen bereits strukturelle Gewalt, da dies den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzte, was potentiell möglich gewesen wäre.

Wenn der Onkel, als das Verhältnis entdeckt wurde, von den Eltern angezeigt wurde, und Onkel und Neffe deshalb in die Niederlande flüchteten und sich erst stellten, als ihnen nach fast einem Jahr das Geld ausgegangen war, der Onkel danach zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde und ein Kontaktverbot bekam, während der Junge sich weigerte, wieder zu den Eltern, von denen er sich verraten fühlte, zurückzukehren, und deshalb vom Jugendamt in Obhut genommen wurde, dann ist das ein krasser Fall struktureller Gewalt gegen zwei Liebende (sowohl Staatsanwaltschaft als auch Richterin stuften das Verhältnis der beiden als Liebesbeziehung ein). Die Bedürfnisbefriedigung des Jungen und des Mannes sind dadurch vermeidbar extremst unter das herabgesetzt worden, was potentiell möglich gewesen wäre.

Machtgefälle in der Erwachsenen-Kind Beziehung

Natürlich gibt es ein Machtgefälle zwischen einem Kind und einem Erwachsenen. Typischerweise hat der Erwachsene die Macht und das Bestimmungsrecht.

Es gibt aber auch ein natürliches Machtgefälle zwischen einem Liebenden und dem von ihm Geliebten. Der Geliebte hat die Macht und das Bestimmungsrecht.

Wer in einer bestimmten Situation konkret bestimmt und die „Macht“ hat, wird von den Umständen, dem Charakter, der Tagesform und ähnlichem abhängen.

Wären nur Beziehungen ohne Machtgefälle tolerierbar, dürfte es gar keine Beziehungen geben.

Eine Beziehungsstruktur an sich ist – egal wie sie aussieht – niemals strukturelle Gewalt. Wäre sie es, dann wäre auch die Beziehungsstruktur von Eltern zu ihren Kindern strukturelle Gewalt, denn das schärfste Machtgefälle, dem ein Kind ausgesetzt ist, ist natürlich das zwischen Kind und Eltern. Es trieft also (vermeintlich) geradezu vor struktureller Gewalt.

Man könnte sogar sagen: bei Zahnpflege-Handlungen an Kindern wird auf diese Weise immer psychischer Zwang oder psychische Gewalt ausgeübt.

Das ist einerseits aus dem Leben gegriffen, andererseits natürlich reichlich überspitzt. Rein objektiv betrachtet sind Zahnpflege-Handlungen notwendig und es würde der Gesundheit der Kinder vorhersehbar schaden, wenn sie unterbleiben würden. Kontrolle und zur Not auch etwas Nachdruck sind also sicher vertretbar.

Das Problem ist nicht ein Machtgefälle an sich, sondern das Ausnutzen eines Machtgefälles. Dieses Ausnutzen, kann man beim Zahnpflege-Zwang eindeutig verneinen.

Demgegenüber ist es nicht so, dass Kinder einen vorhersehbaren Schaden erleiden, wenn sie nicht frühzeitig sexuelle Handlungen ausführen oder sexuelle Handlungen mit einem Erwachsen ausführen. Die sexuelle Beziehung zu einem Erwachsenen ist kein notwendiger oder gar zwingend positiver Entwicklungsschritt. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine sexuellen Handlungen geben darf, sondern lediglich, dass es (anders als bei Zahnpflegehandlungen) keinerlei Zwang zu sexuellen Handlungen geben darf.

Irgendwann hat jeder das erste Mal Sex mit einem anderen Menschen. Wenn alles gut geht, passiert das in einer vertrauensvollen und liebevollen Beziehung, macht Spaß und ist ein sinnlicher Genuss. Alles andere, wie etwa das Geschlecht und Alter des Partners, ist eigentlich egal. Wenn es dem Betroffenen gut tut, ist es eine gute Beziehung. Ein guter Gradmesser für die Qualität einer Beziehung, und auch der Einzige, der mir sinnvoll praktisch anwendbar scheint, ist ihre Freiwilligkeit.

Entscheidend ist in einer Erwachsenen-Kind Beziehung, dass das Kind jederzeit die Möglichkeit hat, körperliche Nähe abzulehnen oder die Beziehung zu beenden. Eine gewollte sexuelle Beziehung (zu wem auch immer) zu verbieten, schadet einem Kind dagegen.

Eine konkrete Beziehung kann einem konkreten Kind im Übrigen durchaus sehr nutzen, denn eine Beziehung geht in aller Regel weit über die sexuelle Komponente hinaus. Neben einer hoffentlich positiven sinnlichen Erfahrung gibt es Liebe, Zuwendung, Aufmerksamkeit, Unterstützung, Hausaufgabenhilfe, Fahrtdienste, gemeinsame Freizeitaktivitäten usw.

Der Kinderpsychiater und Schriftsteller Paulus Hochgatterer glaubt, dass es einen ganz wichtigen prognostischen Faktor gibt, der etwas darüber aussagt, ob sich ein Kind gut entwickelt oder schwierig wird:

„One caring person“. Das ist eine Person, idealerweise eine erwachsene, bei der das Kind das Gefühl hat, dieser Mensch interessiert sich für mich, diesem Menschen bin ich wirklich ein Anliegen. Das kann ein Elternteil sein oder ein Großelternteil, das kann jemand in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft sein, eine Tante oder ein Onkel. Es ist dabei überhaupt nicht wichtig, ob das ein Mann oder eine Frau ist.

Interview mit Paulus Hochgatterer im Standard

Abhängigkeitsverhältnis und Gesetzeslage

Würde es „Kinder-vor-Missbrauch-Schützern“ lediglich um die Verhinderung von sexuellen Handlung in einem Abhängigkeitsverhältnis gehen, bräuchte es kein Totalverbot sexueller Handlungen.

Es gibt mit § 174 bereits einen Paragraphen im Strafgesetzbuch, der den „Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen“ verbietet.

Ich finde diesen Paragraphen in der aktuellen Fassung allerdings problematisch, da das Problem nicht in der Existenz eines Schutzbefohlenen-Verhältnisses an sich besteht, sondern erst im Missbrauch des Schutzbefohlenen-Verhältnisses für sexuelle Zwecke (wenn dieses als Hebel verwendet wird, um Sex zu erzwingen).

Es sollte also durch die Aussage der Beteiligten zumindest widerlegbar sein, dass ein Missbrauch stattfand. Kern der Sache: ein Liebesverhältnis (auch ein ungewöhnliches wie im Fall von Jörn und Daniel) sollte stets straffrei bleiben.

Betrachtungen zum klassischen Verständnis von Einvernehmlichkeit

Einvernehmlichkeit bedeutet Zustimmung, Einwilligung, Einverständnis oder Erlaubnis. Die Grenzen, die der andere setzt bzw. die seinen Kompetenzbereich (z.B. seinen Körper) betreffen, werden durch eine einvernehmliche Handlung also nicht verletzt, sondern gerade respektiert. Einvernehmlichkeit schließt ein Handeln gegen den Willen des Betroffenen aus.

Es mag Kindern an Erfahrung und teils an Weitsicht fehlen, aber sie sind nicht doof. Auch ein Kind weiß sehr genau, was ihm gefällt, was sich gut anfühlt und was nicht, und es ist in der Lage das verbal und nonverbal deutlich zu machen.

Dass Kinder einen eigenen Willen haben und diesen teilweise auch rücksichtslos durchsetzen, wissen Eltern gemeinhin. Beispiele sind etwa ein schreiender Säugling, der Hunger hat oder auf den Arm genommen werden will. Oder ein Kind, das partout kein Gemüse gegessen will. Oder wenn es beim Anziehen unbedingt ein bestimmter Pullover oder ein bestimmtes Paar Schuhe sein muss. Oder wenn es darum geht, noch ein paar gewünschte Süßigkeiten beim Einkauf durchzusetzen. Es gibt tausend weitere Gelegenheiten.

Die Fähigkeit zur willentlichen Zustimmung ist bei Kindern also vorhanden – und wird von Soziologen, Psychologen und Sexualwissenschaftlern auch nicht bestritten.

Kritisch wird es, wenn jemand diese Signale ignoriert und Grenzen überschreitet. Etwa ein Kind dazu zwingt, Nahrung zu sich zu nehmen, die es verweigert. Wenn das Kind sich gegen seinen Willen von der Patentante abknutschen lassen muss…oder in einer Weise berührt wird, die sich schlecht anfühlt oder sogar schmerzhaft ist.

Gelassenheit, Gelassenheit, Gelassenheit!

Mindestens ebenso kritisch ist es allerdings, wenn einem Kind eingeredet werden soll, dass es das, was es tatsächlich schön fand, ganz schrecklich zu finden hatte und damit nicht nur sozialer Druck aufgebaut wird (das Kind hat den Erwartungen nicht entsprochen), sondern auch sein Vertrauen in seine eigene Wahrnehmung unterminiert wird.

Etwas, das sich gut angefühlt hat und dem darüber hinaus wahrscheinlich keine besondere Bedeutung zugemessen wurde, wird dann auf einmal zu einer traumatisierenden und potentiell langfristig schädigenden Erfahrung. Das liegt dann aber nicht an der ursprünglich als angenehm wahrgenommenen sexuellen Erfahrung, sondern an der Reaktion des Umfelds.

Genauso wenig wie das Essen einer wohlschmeckenden Frucht traumatisierend ist, ist eine wohlfühlende Berührung traumatisierend. Wenn man jemandem, der eine Tomate gegessen hat, allerdings einredet, es habe sich um einen Paradiesapfel gehandelt und der Esser sei durch den Verzehr der Erbsünde anheimgefallen und man den schrecklichen Schaden an seiner Seele später immer wieder thematisiert, muss man sich nicht wundern, wenn die Person, die die Tomate gegessen hat, anschließend psychische Probleme bekommt.

Auch eine schlimme, negative Erfahrung (der erzwungene Verzehr eines verdorbenen Lebensmittels oder eine Berührung, die sich schlecht oder sogar schmerzhaft angefühlt hat) wird lange nicht so schädigend nachwirken, wenn sie als überstandene schlimme Erfahrung bewertet wird, statt als ewig nachwirkende Seelenverstümmelung.

Der zum Wohle eines Kindes richtige Umgang mit tatsächlichen und vermeintlichem Missbrauch ist daher zunächst immer Ruhe und Gelassenheit, auch wenn man sich vielleicht gerade überhaupt nicht ruhig und gelassen fühlt. Das bedeutet natürlich nicht ignorieren. Man muss sich (ruhig und gelassen) schlau machen, was vorgefallen ist und wie das Kind den Vorgang bewertet. Erst dann kann man angemessen reagieren.

Das Urteil der Kinder

In der Realität gibt es neben Fällen von Missbrauch auch sexuelle Kontakte mit Erwachsenen, denen die betroffenen Kinder zugestimmt haben, die sie vielleicht sogar initiiert haben, die sie als positiv bewerten und bei denen kein Schaden erkennbar ist.

Mir ist dabei bewusst, dass ich als päderastisch veranlagter Mann für einen unvoreingenommenen Dritten diesbezüglich nicht als Kronzeuge tauge. Ich bin schließlich „Partei“.

Es gibt aber auch Wortmeldungen, von ehemaligen Jungen, die in einer entsprechenden Beziehungen waren und diese eindeutig positiv schildern. Zum Beispiel meldete sich 2013 bei einer Podiumsdiskussion in der Niederlande, jemand zu Wort, als die Diskussion für Publikumsfragen geöffnet wurde:

Ich möchte zwei Dinge sagen. Als ich dreizehn war und die Sexualität entdeckte, war ich ständig auf der Suche nach jemandem, mit dem ich ins Bett gehen konnte. Und irgendwann habe ich das gefunden. Er war vierzig Jahre alt und es war großartig. Das war so wichtig für mich. Das ist Punkt eins. Und die andere Sache, die ich sagen möchte: Ich bin schwul, ich durfte lange Zeit nicht sein, wer ich war, und ich hoffe, dass sich jeder vorstellen kann, wie es ist, wenn man nicht sein kann, wer man ist. Wenn du eine Frau liebst: und du darfst keine Frau lieben. Wenn du einen Mann liebst: und du darfst keinen Mann lieben. Und da haben wir die Pädosexuellen, die das gleiche Problem haben, wie ich in meiner Jugend. Sie dürfen nicht fühlen, was sie fühlen, sie dürfen nicht zärtlich sein, zu dem sie zärtlich sein wollen. Dass Missbrauch furchtbar ist, da stimme ich völlig zu, aber wir müssen uns sehr bemühen, diese Menschen in der Situation, in der sie sich befinden, zu unterstützen und versuchen, sie zu verstehen.

Das Video mit dieser Wortmeldung kann man sich hier (Link) auch im Originalton anschauen.

Neudefinition von Einvernehmlichkeit

Menschen, die sich wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigten und dadurch Zugang zu echten und vermeintlichen Missbrauchsopfern haben, begegnen solche positiven Äußerungen häufiger.

Für die Fraktion der „Kinder-vor-Missbrauch-Schützer“ war das allerdings ein Problem:

Gerade weil ich aus prinzipiellen Gründen genital-sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern als Herrschaftsverhältnis ablehne, habe ich Schwierigkeiten, Erfahrungen einzuordnen, die für das Gegenteil einer Herrschaftssbeziehung zu stehen scheinen.

Günter Amendt, Nur die Sau rauslassen?
in: konkret. Sexualität, H. 2 (1980), S. 23–30, hier S. 23.

Sexueller Missbrauch von Minderjährigen liegt vor, wenn sexuelle Handlungen (mit oder ohne direkten Körperkontakt) gegen den Willen des Kindes oder Jugendlichen geschehen. Gerade Mädchen und Jungen sagen jedoch zum Teil, dass sie zugestimmt hätten. „Für betroffene Kinder“, so schreibt der Erziehungswissenschaftler Dirk Bange, „kann eine solche Aussage eine wichtige Strategie sein, um die Situation auszuhalten.“ Aus diesem „Dilemma der ‚scheinbaren Einwilligung‘ von Kindern“ hilft das „Konzept des wissentlichen Einverständnisses“ heraus. Damit ist gemeint, dass „Kinder gegenüber Erwachsenen keine gleichberechtigten Partner sein können, weil sie ihnen körperlich, psychisch, kognitiv und sprachlich unterlegen sind. Hinzu kommt, dass Kinder auf die emotionale und soziale Fürsorge Erwachsene angewiesen und Erwachsenen rechtlich unterstellt sind. Kinder können aus diesen Gründen sexuelle Kontakte mit Erwachsenen nicht wissentlich ablehnen oder ihnen zustimmen. Aufgrund dieses strukturellen Machtgefälles ist jeder sexuelle Kontakt zwischen einem Kind und einem Erwachsenen sexueller Missbrauch […].


Gutachten „Die Unterstützung pädosexueller bzw. päderastischer
Interessen durch die Berliner Senatsverwaltung

Die zitierten Äußerungen sagen eigentlich alles.

Aus prinzipiellen Gründen war man nicht bereit, die Wirklichkeit, so wie sie ist, zu akzeptieren. Man suchte und fand die Lösung des „Dilemmas“, dass die Wirklichkeit nicht zu den eigenen Prinzipien passt, in dem theoretischen Konzept des wissentlichen Einverständnisses und konstruiert „passende“ Erklärungsmuster, um störende Aussagen mit den eigenen Erwartungen zu vereinbaren (z.B. durch Darstellung als „Strategie, um die Situation auszuhalten“).

Der Erfinder des zentralen Arguments ist der Sozialwissenschaftler David Finkelhor. Finkelhor führte 1979 die Unterscheidung zwischen „simple consent“ und „informed consent“ ein. Er behauptet damit die entwicklungspsychologische Unfähigkeit von Kindern, aufgeklärt in sexuelle Handlungen einzuwilligen und damit gleichberechtigte Sexualpartner zu sein.

Finkelhor räumte ein, dass Kinder und teilweise Jugendliche zwar willentlich in sexuelle Handlungen einwilligen können, dabei aber nicht die Tragweite einer solchen Zustimmung überschauen. Demnach stimmten sie der Handlung nicht wissentlich (informiert) zu, unabhängig davon, wem sie zustimmen.

An dieser Stelle macht es Sinn, einen Hinweis aus dem Bericht „Gewalt und Gesundheit“ (2002) der Weltgesundheitsorganisation zu reflektieren:

Gewalt lässt sich auf die unterschiedlichste Weise definieren, es kommt immer darauf an, wer den Begriff definiert und für welchen Zweck dies geschieht.

Im englischen Wikipedia-Artikel zu David Finkelhor wird (mit der Quellenangabe „Child Sexual Abuse: New Theory and Research“, Seite 228) angeführt, Finkelhor habe erklärt, dass er beabsichtigt, seine Forschung fortzusetzen, bis er den Beweis für „einen eindeutigen und überzeugenden Befund dafür hat, dass das Problem [des sexuellen Missbrauchs von Kindern] weit verbreitet ist“.

Im englischen Original: He has stated that he intends to continue his research until he proves „an unambiguous and persuasive case that the problem [of child sexual abuse] is widespread.“

Wer so ein Forschungsziel hat, hat natürlich auch ein Interesse an einer möglichst weitgehenden Missbrauchsdefinition, die eine möglichst hohe Betroffenenzahl liefert. Die Definition kann dann allerdings auch über das Ziel hinausschießen und Fälle erfassen, bei denen schlicht kein Missbrauch vorlag.

Zur Erinnerung: in über 50% der Fälle einer großangelegten kriminologischen Untersuchung von sexuellen Handlungen mit Kindern waren keine Gewalt und keine Schäden festzustellen. Die Neudefinition von Einwilligung und Gewalt verdoppelt die Anzahl der (nominellen) Missbrauchsopfer also in etwa.

Das ist dann ein Problem, wenn reale Menschen dadurch geschädigt werden, etwa durch die nachträgliche Traumatisierung, von jemandem, der nicht traumatisiert war, oder durch langjährige Haftstrafen für nicht strafwürdige Handlungen.

Auch wenn ich das für falsch halte: die Auffassung, dass die einzig wahre und allein relevante Einwilligung die „wissentliche“ Einwilligung ist und dass Kinder in diesem Sinne nicht einwilligungsfähig sind, hat sich durchgesetzt.

Wer dagegen argumentiert wird als Lobbyist von Kinderschändern stigmatisiert und auf diese Weise mundtot gemacht.

Trotzdem wird (vermutlich) kein seriöser Wissenschaftlicher leugnen, dass Kinder willentlich in sexuelle Handlungen einwilligen können. In der Regel wird man sich aber der Stellungnahme entziehen, indem man die Frage ignoriert oder als irrelevant hinstellt. Argumentativ konzentriert man sich dann stattdessen auf die behauptete fehlende wissentliche Einwilligung.

Beweisprobleme zur „wissentlichen“ Zustimmung

Die Theorie von der stets fehlenden wissentlichen Einwilligung wird der Allgemeinheit als Wahrheit verkauft („aus Studien wissen wir …“).

Zumal wir auch aus Studien wissen, dass es keine einvernehmlichen sexuellen Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern geben kann. Einvernehmlichkeit bei sexuellen Interaktionen setzt voraus, dass die Beteiligten vollständig über den Inhalt, die Durchführung und mögliche Folgen der sexuellen Aktivität informiert sind, sie verstanden haben und ihr zustimmen. Zu solch kritischem und perspektivischem Denken sind Kinder und Jugendliche aber aus entwicklungspsychologischen Gründen gar nicht in der Lage. Das heißt, Kinder können die Folgen nicht vollständig verstehen und abwägen. Auch wenn keine körperliche Gewalt eingesetzt wird, gibt es zwischen Kindern und Erwachsenen immer ein intellektuelles Ungleichgewicht und ein Machtgefälle. Der Erwachsene ist stärker, vielleicht sogar eine Vertrauens- und Autoritätsperson und ist geistig und sexuell weiter entwickelt. Deswegen kann es keine Augenhöhe und Einvernehmlichkeit bei sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Kindern geben.

Interview von Elisabeth Quendler
vom Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ (KTW)
am Standort des Uniklinikums Ulm mit K13 Online

Da stellt sich mir die Frage: welche Studien sollen das sein?

Und wie soll es überhaupt möglich sein, das behauptete „Wissen“ mit einer Studie zu ermitteln? Man kann in einer Studie natürlich nachfragen, ob ein Kind, das einen sexuellen Kontakt mit einem Erwachsenen hatte, sich willentlich auf den Kontakt eingelassen hat. Das Ergebnis einer solchen Studie wäre, dass sich ein erheblicher Anteil der Kinder willentlich auf den sexuellen Kontakt eingelassen hat.

Der Spiegel berichtete etwa im Jahr 1979: „Eine Untersuchung der Düsseldorfer Polizei ergab, dass von missbrauchten Kindern 22 Prozent bereits bei der Kontaktaufnahme über die Absicht des Täters im klaren und damit einverstanden waren.“

Wenn man nicht die Kontaktaufnahme, sondern den Zeitpunkt unmittelbar vor der eigentlichen sexuellen Handlung heranzieht, wird die „Einverstanden“-Quote sicher deutlich höher sein.

Die willentliche Einwilligung ist für die wissentliche Einwilligung aber ohnehin „egal“.

Wie will man nun bewerten, ob die Zustimmung „wissentlich“ genug erfolgte? Das Alter taugt vielleicht als juristischer Maßstab, kann aber sicher kein wissenschaftliches Kriterium sein. Kinder entwickeln sich ja nicht in einem einheitlichen Tempo. Bei gleichem Alter ist der eine weiter als der andere.

Es wird behauptet, dass Kinder „ aus entwicklungspsychologischen Gründen“ noch nicht so weit seien. Wie genau misst man das? Welche Studie hat wie festgestellt, dass 60, 80 oder 100% der unter-14jährigen entwicklungspsychologisch noch nicht weit genug sind und dass 60, 80 oder 100% der 14+/-jährigen entwicklungspsychologisch bereits dazu in der Lage sind?

Irgendwann muss jeder erste sexuelle Erfahrungen sammeln. Ein sexuell unerfahrener 16- oder 20-jähriger ist mit dem selben praktischen Wissensdefizit konfrontiert wie ein sexuell unerfahrener 11- oder 13-jähriger. Warum sollte dann ein 16-jähriger oder 20-jähriger auf einmal mit genug Informationen (oder Reife) ausgestattet sein, um einem Sexualkontakt erstmals zustimmen zu können. Wann genau fallen die nötigen Informationen (oder die Reife) magisch vom Himmel?

Wie kommt man da weiter? Soll man die Probanden vielleicht neurowissenschaftlich untersuchen, um den Reifegrad des Gehirns festzustellen? Das ist inzwischen wohl möglich und führte, wie der Merkur berichtete, zur Erkenntnis, dass das Gehirn mit 18 längst nicht ausgereift ist und dass viele Menschen erst mit 30 Jahren den Reifegrad „Erwachsen“ erreichen würden.

Also Sex erst ab 30? Das zeigt (hoffentlich), dass diese Betrachtungsweise lächerlich ist. Die sexuelle Reife ist beim Menschen nicht an die Reife des Gehirns gebunden.

Stellt man dagegen auf die Erfahrung ab, müsste es einem 12-jährigen, der bereits Sex mit einem anderen 12jährigen hatte (was ja durchaus vorkommen soll), dann nicht erlaubt sein, fortan einvernehmlichen Sex mit einem anderen Menschen beliebigen Alters zu haben?

Das Konzept des „informed consent“ besagt, dass Kinder einer sexuellen Handlung nicht wissentlich (informiert) zustimmen können, unabhängig davon, wem sie zustimmen. Nach der Theorie des „informed consent“ sind also auch sexuell erfahrene 12-jährige „uninformiert“ und können sexuellen Handlungen mit einem anderen Menschen nicht wissentlich zustimmen (auch nicht solchen mit anderen 12jährigen).

Ausreichende“ Zustimmung

An dieser Stelle gehen die wissenschaftliche Theorie des „informed consent“ und der gesellschaftliche Konsens übrigens bereits etwas auseinander.

Trotz fehlender „wissentlicher“ Einwilligung hat zu Recht (fast) niemand ein Problem damit, wenn Kinder Doktorspiele miteinander spielen, solange die Handlungen von den beteiligten Kindern gewollt sind und sie nicht dazu genötigt werden. Doktorspiele gelten entwicklungspsychologisch als normal. Sie werden daher typischerweise jedenfalls toleriert.

Ebenso hat trotz fehlender „wissentlicher“ Einwilligung auch zu Recht (fast) niemand etwas dagegen, wenn zwei 13-jährige einvernehmlich sexuelle Handlungen miteinander haben. Auch das gilt entwicklungspsychologisch als normal. Auch diese Beziehungen werden typischerweise toleriert.

Aus gesellschaftlicher Sicht ist eine willentliche Zustimmung unter Kindern also eine „ausreichende“ Zustimmung.

Für die Folgen spielt es aber keine Rolle, ob der Sexpartner des 13-jährigen ebenfalls 13 ist, oder ob er 14 ist (und sich damit strafbar macht). Es spielt auch keine Rolle, ob er (oder sie) 30 oder 40 ist – solange die Handlungen von den Beteiligten gewollt sind und sie nicht dazu genötigt werden. Wenn die Folgen gleich sind, warum sollen sich dann die Regeln auf einmal ändern?

Mir erschließt sich jedenfalls nicht, warum ein (in der Pubertät oft entwicklungsbedingt hypersexueller und hormontriefender) Gleichaltriger notwendig ein besserer, rücksichtsvollerer oder „sichererer“ Sexualpartner sein sollte, als ein weniger impulsiver, lebenserfahrener Erwachsener. Es ist für mich deshalb auch nicht überraschend, wenn kriminologische Studien zeigen, dass von einem einvernehmlichen Sexualkontakt mit einem Älteren keine grundsätzliche Gefahr für den Jüngeren ausgeht.

Der Unterschied, der die eine Zustimmung (gegenüber einem etwa Gleichaltrigen) akzeptabel macht und die andere Zustimmung (gegenüber einem Älteren bzw. Erwachsenen) inakzeptabel macht, liegt nicht in den Folgen für das Kind, sondern lediglich im Moralempfinden Dritter.

Die Auffassung von Finkelhor ist, dass Kinder generell nicht in der Lage sind, einer sexuellen Handlung mit einer beliebigen anderen Person zuzustimmen.

Diese Auffassung scheint mir ziemlich offensichtlich falsch zu sein, da Sexualität von Beginn an Teil des Menschseins ist und auch bestimmte Formen der Sexualität mit anderen (wie Doktorspiele) schon frühzeitig zum entwicklungspsychologisch normalen Verhalten eines Kindes gehören. Jedenfalls ab der Pubertät schließt dies auch genital-sexuelles Verhalten ein.

Der gesellschaftliche Konsens (jedenfalls in Europa) ist demgegenüber, dass Kinder grundsätzlich nicht in der Lage sind, einer sexuellen Handlung mit einem Erwachsenen (!) zuzustimmen. Warum aber sollte die Zustimmung gegenüber einem anderen Kind möglich und die gegenüber einem Erwachsenen unmöglich sein? Das Alter des Partners ist keine grundlegende Eigenschaft der Zustimmung und ändert nichts an ihrer Qualität. Das wesentliche ist die Zustimmung und Freiwilligkeit.

Wann man reif genug ist

Der beste mir bekannte Gradmesser für die Reife, etwas zu machen (zum Beispiel auf einen Baum zu klettern), ist das Verlangen etwas zu machen.

Kinder können zwar willentlich auf einen Baum klettern, aber wissentlich doch wohl eher nicht. Sie werden sich vielleicht noch Gedanken machen, dass sie runter fallen und sich weh tun könnten, aber wohl eher nicht darüber, was sie sich dabei im Einzeln brechen können.

Auf Bäume klettern ist freilich nicht das selbe wie Sex haben. Persönlich schätze ich das Klettern auf Bäumen als potentiell gefährlicher ein.

Fehlendes Wissen ist der menschliche Normalzustand. Auch ein Erwachsener kann die Folgen einer Beziehung, auf die er sich einlässt, nicht im Vorfeld vollständig verstehen und abwägen. Man weiß nicht, ob der mögliche Partner treu bleibt, ob er/sie sich an Absprachen hält und verhütet (oder sich bei Kinderwunsch an die Absprache hält, nicht zu verhüten), ob man sexuell auf der selben Wellenlänge ist, ob der Partner sich als gewalttätig herausstellt oder ob er nach dem Ende der Beziehung zum Stalker wird.

Trotzdem sind die allermeisten Beziehungen solange sie andauern jedenfalls überwiegend positiv und von den Beteiligten gewollt. Auf Beziehungen lässt man sich ein, wenn man dabei ein gutes Gefühl hat. Wenn sich herausstellt, dass sie einem nicht (mehr) gut tun, beendet man sie. Das funktioniert auch bei Kindern.

Es kommt vor, dass man sich beim Sturz von einem Baum ein Bein oder sogar das Genick bricht. Es ist aber nicht der Regelfall, sondern die sehr seltene Ausnahme und gehört in den Bereich des normalen Lebensrisikos. Ein Generalverbot auf Bäume zu klettern, wäre daher verfehlt.

Auch das Glück oder Unglück in der Liebe und in Beziehungen ist Teil des normalen menschlichen Lebensrisikos. Auch dieser Bereich sollte daher nicht durch das Verbot ausgewählter, beiderseitig gewollter Beziehungen reglementiert werden.

Selbstbestimmungsrecht

Die meisten Menschen sprechen Kindern nicht das Recht auf jegliche Sexualität ab. Beziehungen mit annähernd Gleichaltrigen sind gesellschaftlich toleriert. Es geht der Gesellschaft primär darum, sie vor Erwachsenen (wie mir) zu bewahren. Faktisch wird damit aber das Selbstbestimmungsrecht von Kindern, als Schutz verbrämt, verneint.

Den starren und unerbittlichen Regeln fallen in der Realität dann allerdings auch Kinder zum Opfer. Das zeigt etwa der bereits erwähnte Fall von Jörn eindrücklich. Der vermeintliche Schutz verkommt in solchen Fällen zu struktureller Gewalt.

Wer Interesse an sexuellen Handlungen hat, ist sexuell reif genug, um sexuelle Handlungen zu haben. Den „passenden“ Sexualpartner sollte sich der Betreffende selbst aussuchen können. Wobei der oder die Auserwählte natürlich seiner- bzw. ihrerseits auch wollen muss.

Ich gehe davon aus, dass viele 13-jährige Jungen sehr gerne bereit wären, mit einer sexuell attraktiven, erwachsenen jungen Frau Sex zu haben. Frauen tendieren ihrerseits allerdings eher zu Partnern, die als Ernährer und Beschützer geeignet sein könnten. Hoch gewachsene Männer mit athletischem Körperbau gelten meist als attraktiv. Noch wichtiger sind oft Merkmale, die auf Reife, Intelligenz, Verlässlichkeit und Ehrgeiz hinweisen (z.B. Vermögen, berufliche Position, Statussymbole).

In diesen Belangen schneiden Jungen gemeinhin eher schlecht ab. Den sexuell willigen 13-jährige Jungen stehen also kaum sexuell willige Frauen gegenüber. Zum Glück gibt es aber auch noch gleichaltrige (oder geringfügig jüngere) potentielle Partner.

Wenn es (wovon ich ausgehe) für die meisten Menschen vorstellbar ist, dass sich ein 13-jähriger Junge Sex mit einer Frau wünscht, bzw. dafür empfänglich wäre, sollte es eigentlich auch nicht abwegig sein, sich vorzustellen, dass es bisexuelle oder schwule Jungen gibt, die gerne Sex mit einem Mann hätten bzw. dafür empfänglich wären.

Wie etwa der Fall von Jörn oder die Wortmeldung des Zuschauers bei der Podiumsdiskussion im Jahr 2013 zeigen, ist das auch keine graue Theorie, sondern kommt im wirklichen Leben tatsächlich vor.

Blendwerk und Utopie

Das der Öffentlichkeit als „bewiesen“ verkaufte Konzept der „wissentlichen Zustimmung“ ist lediglich eine Theorie, die sich auf Anhieb hinreichend plausibel anhört, letztlich aber nur pseudowissenschaftlich ein moralisch gewolltes Verbot legitimiert.

Damit die Theorie beweisbar wird, müsste die entwicklungspsychologische Reife zur Zustimmung zu einer sexuellen Handlung objektiv nachweisbar sein. Es gäbe dann also einen Test, mit dem man bei einem „Probanden“ eine „ausreichende“ entwicklungspsychologische Reife (oder deren Fehlen) feststellen könnte.

Gäbe es diesen Test, würde das ein Schutzalter überflüssig machen.

Denn natürlich könnten auch einige überdurchschnittlich reife 12-jährige den Test „bestehen“ – und dann wirksam einer sexuellen Beziehung (zu einem Gleichaltrigen oder einem Älteren) zustimmen.

Analog würden sicherlich auch einige unterdurchschnittlich reife 18-jährige „durchfallen“. Sie könnten einer sexuellen Beziehung dann natürlich auch nicht wirksam zustimmen.

Ein entsprechendes Testergebnis könnte sich ein potentiell interessierter Partner vorzeigen lassen – und würde sich (unabhängig vom Alter des Partners) strafbar machen, wenn er mit jemandem Sex hat, der entwicklungspsychologisch noch nicht reif genug ist, um sexuellen Handlungen zuzustimmen.

Einen solchen Test gibt es aber nicht.

Gäbe es ihn doch und wäre er anerkannt (was eigentlich zwingend wäre, wenn der Test als wissenschaftlicher Beweis gelten würde), dann wäre das für Pädophile und Päderasten durchaus positiv. Reine Moralverbote wären dann jedenfalls Geschichte.

Eine zu restriktive Gestaltung des Testdesigns würde dazu führen, dass zu viele junge Erwachsene „durchfallen“ würden. Das würden sich die Wähler nicht bieten lassen. Der Test müsste also schon aus politischen Gründen auf ein realistisches und angemessenes (menschengerechtes und bestehbares) Maß beschränkt bleiben.

Fazit

Das alles zeigt, dass das erweitere Gewaltkonzept der „strukturellen Gewalt“ und das Konzept des „informed consent“ zu kurz greift.

Im Grunde ist die Sache einfach: Entwicklungspsychologisch bereit „genug“ für Sex ist, wer sich für Sex interessiert.

Im realen Leben gibt es sexuell neugierige und erfahrene 12jährige, aber auch verklemmte, jungfräuliche 17jährige. Diesen Menschen wird man gerecht, wenn sie Sex haben dürfen, wenn sie sich dafür bereit fühlen und keinen Sex haben müssen, solange sie sich nicht nicht dafür bereit fühlen. Der entscheidende Punkt ist die Freiwilligkeit – und nur sie.

Zum Thema Machtgefälle, das oft im selben Atemzug wie die fehlende „wissentliche“ Einwilligung genannt wird, habe ich schon einiges geschrieben. Tatsächlich gibt es keine Beziehungen ohne Machtgefälle. Machtgefälle drücken sich auf vielen Ebenen aus: körperliche Stärke, finanzielle Möglichkeiten, sexuelle Attraktivität, intellektuelle Überlegenheit, emotionale Reife, usw.

Wann wird der Gehaltsunterschied oder der Unterschied im Intelligenzquotienten oder der Altersunterschied zu groß, damit eine Beziehung hinreichend „ausgeglichen“ ist? Und wer soll das bestimmen? Wem will man die Macht einräumen, auf welcher Basis eine bestimmte Beziehung als akzeptabel oder nicht akzeptabel zu definieren?

Die einzige Legitimation, die eine Beziehung braucht ist, dass die Beziehungspartner glücklich sind.

9 Kommentare zu „Zu viel Einvernehmlichkeit. Zu wenig Gewalt.

  1. Vielen, vielen Dank! Das ist genau das, was ich immer denke nur nie in Worte fassen kann. Ich werde den Link hierzu mit so vielen Leuten teilen, wie mir möglich ist. Das ist eine perfekte Argumentation und sehr überzeugend geschrieben.

    LG
    Guller

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  2. Interessanter Beitrag. Habe nur eine kleine Anmerkung. Du hast folgendes geschrieben:

    „Zur Erinnerung: in über 50% der Fälle einer großangelegten kriminologischen Untersuchung von sexuellen Handlungen mit Kindern waren keine Gewalt und keine Schäden festzustellen. Die Neudefinition von Einwilligung und Gewalt verdoppelt die Anzahl der (nominellen) Missbrauchsopfer also in etwa.“

    Könnte sein, dass ich mich hier jetzt blamiere, aber mir war so, dass eine Verdoppelung 100% entspräche. 50% wären dann, wenn mich nicht alles täuscht, die Hälfte einer Verdoppelung.

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    1. Ich freue mich, dass du den Beitrag lesenswert fandest. Zu deiner Anmerkung:

      Der Ausgangswert ist 100%. Eine Verdoppelung ist 200% vom Ausgangswert (=> Multiplikator von 2). Eine Halbierung ist 50% vom Ausgangswert (=> Multiplikator 0,5).

      Am besten nachvollziehbar ist es durch ein konkretes Beispiel mit konkreten Zahlen.

      Der Einfachheit halber nehmen wir an, wir hätten 100 Fälle von sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Kindern. Bei 50 Fällen gab es zwischen dem Erwachsenen und dem Knd willentliches Einverständnis und es kam zu keiner Gewaltanwendung. Bei den restlichen 50 Fällen gab es kein willentliches Einverständnis und es kam ggf. sogar zu Gewaltanwendung im Sinne des klassischen Gewaltverständnisses (der tatsächliche oder angedrohte absichtliche Gebrauch von physischer oder psychologischer Kraft oder Macht).

      Bei herkömmlichem Verständnis von Gewalt (Gewalt im klassischen Sinn) und Einvernehmlichkeit (willentliche Einvernehmlichkeit) gab es 50 Opfer.

      Bei einer Neudeifition, wie es sie inzwischen gegeben hat (grundsätzliche und unwiderlegbare Annahme „sexualisierter Gewalt“ lediglich aufgrund des Altersunterschieds; Einvernemlichkeit nur bei „wissentlicher“ Einvernehmlichkeit) gab es 100 Opfer.

      Durch die Neudefinition hat sich die Zahl der Opfer also von 50 auf 100 verdoppelt. So ist es im Artikel gemeint.

      Wenn der Sachverhalt für dich nicht klar wurde, dann betrifft das analog ganz sicher auch einige andere Leser, die lediglich nicht nachgefragt haben (vielleicht eben aus Angst sich zu blamieren). Auch denen hast du geholfen, indem du deine Bedenken zurückgestellt und einfach mal nachgefragt hast. Danke dafür! 🙂

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  3. Jetzt mal ganz im Ernst: Hier wird für Diversität und Toleranz für gesellschaftlich nicht grade einfache Positionen geworben. Aber wie Frauen so sind, weiß der Autor ganz genau: „Frauen tendieren ihrerseits allerdings eher zu Partnern, die als Ernährer und Beschützer geeignet sein könnten. Hoch gewachsene Männer mit athletischem Körperbau gelten meist als attraktiv. Noch wichtiger sind oft Merkmale, die auf Reife, Intelligenz, Verlässlichkeit und Ehrgeiz hinweisen (z.B. Vermögen, berufliche Position, Statussymbole).“
    Schwups, eine kleine Zuschreibung muss ausreichen, es geht ja nicht um die eigene Identität.
    Tolle Argumentation. Fundierte Fakten, hahaha. Aber für die eigene Sache aus Studien zitieren! Finde ich ärgerlich und recht selbst-bezogen. Wer selbst wahrgenommen werden will, sollte nicht den Eindruck erwecken, andere Identitäten eher lästig und simpel zu finden.

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    1. Die Einschätzung basierte auf Artikeln, die ich zu dem Thema gelesen habe. Aus
      https://de.wikipedia.org/wiki/Partnerwahl#Individuelle_und_kollektive_Partnerwahl

      —————
      Trivers (1972) definierte seine Theorie über elterliche Investition und sexuelle Selektion folgendermaßen: Elterliche Investition ist jegliche Form der Investition in Nachkommen, welche die Möglichkeit ausschließt in andere Nachkommen zu investieren.

      Sie beinhaltet investierte Zeit, Energie und die zur Sicherung des Überlebens der Nachkommen erbrachten Anstrengungen, insbesondere auf Kosten des Wettbewerbs um andere Partner. Sie stellt demnach auch eine Verminderung des eigenen Reproduktionswertes wie Fruchtbarkeit und Paarungserfolg dar. Das Geschlecht, welches mehr in Nachkommen investiert, hat bei der Partnerwahl die höheren Ansprüche und ist in der Partnerwahl sorgfältiger bzw. wählerischer. Buss (2000) schloss daraus, dass derjenige auserwählt wird, der am ehesten die Bedürfnisse des umworbenen Partners erfüllt. Frauen, die mehr investieren, gewichten kulturübergreifend den ökonomischen Status bei potentiellen Partnern höher als Männer. Die Höhe der Investition in Nachkommen unterscheidet sich demnach zwischen Mann und Frau. Während ein Mann theoretisch unbegrenzt Nachkommen zeugen kann, investiert die Frau mit der Schwangerschaft ungleich mehr. Deshalb achtet aus evolutionärer Sicht der Mann im Bindungs- und Fortpflanzungsverhalten eher auf Quantität, während für die Frau die Qualität eine größere Rolle spielt.

      Buss und Schmitt behaupteten 1993, dass sich bei Frauen vor allem Präferenzen entwickelten, die einen Mann als Ernährer und Beschützer kennzeichnen, unter anderem der soziale Status eines Mannes und die Ressourcen, über die er verfüge. Im Vergleich zu Männern sollen sich Frauen zu Partnern hingezogen fühlen, die ein nonverbales Dominanzverhalten zeigen. Insbesondere sollen hochgewachsene Männer mit athletischem Körperbau als attraktiv gelten, wichtiger seien jedoch Merkmale, die auf Reife, Intelligenz, Verlässlichkeit und Ehrgeiz hinweisen (Vermögen, berufliche Position, Statussymbole). Frauen könnten aufgrund von Schwangerschaft und Stillzeit schwerer Ressourcen anlegen und bevorzugen daher ältere, wohlhabendere Partner mit hohem sozialem Status, der eine Familie langfristig ernähren kann (maximale Versorgungsleistung). Männer hingegen sollen kulturübergreifend die physische Erscheinung und Attraktivität von Frauen höher einschätzen, die einen hohen Reproduktionswert und Fruchtbarkeit der Partnerin vermittelt, das heißt, sie würden Frauen mit hohem reproduktivem Wert bevorzugen, da diese zeitlich befristet sei (maximales Fortpflanzungspotential). Männer würden instinktiv den reproduktiven Wert der Frauen nach dem physischen Erscheinungsbild – etwa Körperbau, glatte Haut, glänzende Augen – und nach dem Verhalten bewerten, etwa nach körperlicher Aktivität und Gestik.[6]
      —————

      Das scheint mir plausibel. Mehr als eine Tendenz wird auch nicht behauptet. Eine Zuschreibung im Sinne von „alle Frauen sind …“ gibt es nicht, auch nicht in meinem Artikel.

      „Schwups, eine kleine Zuschreibung muss ausreichen, es geht ja nicht um die eigene Identität. Tolle Argumentation. Fundierte Fakten, hahaha. Aber für die eigene Sache aus Studien zitieren! Finde ich ärgerlich und recht selbst-bezogen. Wer selbst wahrgenommen werden will, sollte nicht den Eindruck erwecken, andere Identitäten eher lästig und simpel zu finden.“

      Ich würde mich freuen, wenn du deine Sicht der Dinge wiedergibst und damit zu einer differenzierten Perspektive beiträgst.

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    1. Welche Wahrheit? Deine Wahrheit? Meine Wahrheit? Die Wahrheit von Günter Amendt oder die von Michael Baurmann?

      Ich finde das Wort Wahrheit problematisch, weil die eigene Wahrheit aufgewertet und die Wahrheiten anderer abgewertet werden. Eine Wahrheit ist auch gegen neue Einsichten immun. Das verhindert Weiterentwicklung und fördert Intoleranz.

      Aus meiner Sicht, ist es vor allem eine Schande, wenn die Wissenschaft an die Stelle einer möglichst sachlichen, unvoreingenommene Wahrnehmung der Realität eine dogmatische „Wahrheit“ setzt. Ich wünsche mir vor allem gute, unvoreingenommene Wissenschaft ohne moralisierende Denkbarrieren. Es muss nicht zwangsläufig so sein, dass das dann zu den Ergebnissen führt, die ich erwarte oder erhoffe und in deren Richtung es aus meiner Sicht deutliche Hinweise gibt.

      Wenn man sich nicht selbst belügen will, ist gute Forschung wichtiger als wünschenswerte Ergebnisse.

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      1. Dein letzter Satz ist richitg, es geht nicht um irgendwelche vorstellungen sondern um Beweise (Gute Forschungen)

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